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Eine Woche Oinousses oder die Flucht vor den stürmischen Winden

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Die Nacht ist um 6.00 zu Ende, um kurz vor 7.00 lichten wir den Anker, und es geht los Richtung Chios. Wir haben bis zur Hälfte den Strom mit uns, aber zu wenig Wind zum Segeln ohne Motor. Zwar können wir mit voller Besegelung fahren, doch bleibt die Geschwindigkeit zu gering ohne Einhilfe. Leider kommt uns dann noch der Strom von 1kn entgegen, so dass wir etwas später als geplant die Oinousses anlaufen. Wir MÜSSEN heute irgendwo anlegen – entweder hier oder eventuell in der Beton-Marina in Chios, die sich ja angeblich im Bau befinden soll, denn am nächsten Tag kommt der Südsturm! Deshalb nähern wir uns Oinoussa mit Bangen Gefühlen, ob wir einen guten Platz finden. Es ist ja auch noch Wochenende und die Oinousses sind ein beliebtes Ausflugsziel der Chioten. Aber, wir haben großes Glück, der Hafen ist bis auf ein französisches Segelboot leer, und wir können problemlos längsseits anlegen. Es gibt sogar Strom und jeden zweiten Tag morgens Wasser am Steg.

Es ist absolut windstill und 30 Grad – die Luft ist zum Schneiden. Trotzdem steigen wir noch ein wenig in den Ort auf! Der Blick auf Chios und seine hohen Berge ist einfach toll!

Wir kommen genau zum richtigen Moment vom Spaziergang zurück, denn bereits am frühen Abend rückt er an und zerrt und zergelt an unseren Leinen: der allseits gefürchtete Südsturm, und Süden ist auch die einzige Windrichtung, zu welcher der Hafen offen ist. Das Pfeifen in Mast und Wanten wird ohrenbetäubend, sogar noch durch die Ohrstöpsel hörbar. Eine selten unruhige Nacht muss überlebt werden. Die Gischt steigt sogar von hinten ins Cockpit ein. Unsere französischen Nachbarn stehen mitten in der Nacht mit WD draußen und sichern noch mit Fendern ihr Boot. Zum Glück schützen unsere Fender das Boot gut vor der Kaimauer. Dann gegen Morgen beruhigt sich’s etwas, so dass wir erstmal ein gutes Sonntagsfrühstück einnehmen können. Langsam kommt auch die Sonne hinter den bizarr geformten Wolken hervor, der Tag wird sonnig, alles wird ruhig – halt so, als ob nichts gewesen wäre!

Glücklicherweise dreht der Wind langsam nach West bis Nord, so dass White Satin vom Kai abgedrückt wird. Zum Glück haben wir keinen Schaden an der Außenbordwand genommen.

Am Nachmittag machen wir zur Erholung einen kleinen Spaziergang zum nahegelegenen Strand und trinken in einer kleinen Strandbar Kaffee und (alkoholfreies!) Bier mit den dazu gelieferten leckeren Chips. So läßt sich’s aushalten!Natürlich wird ständig der Wetterbericht gelesen, und der sagt uns nichts Gutes. Wir haben ab Mittwoch mehrere Tage mit Windstärken bis zu 7 Bft zu rechnen! Das bedeutet: längerer Aufenthalt hier auf den schönen Oinousses…Aber: es gibt wahrlich schlimmere Plätze zum Abwettern!!! Am Abend schauen wir uns im Rahmen des Doku-Filmfestivals einen Film über die aussterbende Kunst der Weberei auf Kreta an. Das französische Ehepaar vom Nachbarboot und wir sind die einzigen Zuschauer.

Montag 3.10.

Heute gibt’s Wasser am Kai – alle bedienen sich erstmal gründlich. Wir reinigen unser Dingi, um dann unseren geflickten Boden hineinzutun und aufzupumpen. Schaumermal, ob er hält… Mittlerweile sind wir mit den Franzosen etwas ins Gespräch gekommen. Sie warten den Meltemi ab, nur um ins gegenüber auf Chios gelegene Tolos überzusetzen, wo sie ihr Winterlager haben. Wir sprechen über das bis zum 5.10. dauernde Filmfestival der Dokufilmer, Gestern waren sie dort die einzigen Zuschauer, wollen aber heute wieder gehen. Wir werden uns anschließen.

Dann brechen wir auf zu unserer dreistündigen Wanderung um den Ostteil der Insel mit herrlichem Blick auf die weiteren kleineren Oinousses und die zum Greifen nahe Türkei! Wir wandern über gut asphaltierte Straßen durch eine jetzt im Herbst braun gewordene Landschaft. Überall sehen wir Mastixbüsche mit ihren kleinen roten Beeren. Dies können wir nur wissen unter Zuhilfenahme unserer tollen Pflanzenbestimmungs-App!

Es ist einfach nur herrlich in der klaren, noch mäßig windigen Luft zu wandern!

Abends schauen wir uns wieder einen Dokumentarfilm im Rahmen des Filmfestivals an über die Bedrohung der indigenen Völker des Amazonas. Sehr ergreifend und deprimierend. Betroffen schlurfen wir zum Boot zurück.

Dienstag 4.10.

Noch hält sich der Meltemi stark zurück. Unser Boot liegt gut gesichert, nachts kann man gut schlafen. Heute sind wir zum petit café bei unseren französischen Nachbarn Miriam und Jean-Baptiste geladen. Sie leben in der Bretagne und erzählen viel und (vor allem Jean-B. als gebürtigem Pariser) schnell von ihren Erlebnissen und Krankheiten (Miriam: Blutkrebs!).

Abends geht’s wieder zum Dokumentarfilm, diesmal über einen bosnischen Kriegsveteranen, der als Aussteiger auf einer einsamen Insel lebt, um mit den Grausamkeiten seiner Erlebnisse als Soldat im damaligen Krieg (1990) fertig zu werden. Ein weiterer Schlag in unsere doch recht unbeschwerte Touristen-Magengrube! Wieder mit hängenden Schultern suchen wir das Hafencafé auf. Wir essen dort Spaghetti Carbonara und einen Salat – das erste Mal auswärts auf der Insel.

Mittwoch 5.10.

Heute soll die Windstärke 6 Bft kommen. Aber wir spüren nicht allzu viel in unserer geschützten Lage.

Mit Entsetzen aber hören wir von dem in diesem Sturm havarierten Flüchtlingsboot von 40 Flüchtlingen, von denen 16 ertrunkenen sind, 15 gerettet und der Rest vermisst wird, im Osten von Lesbos, wo wir wenige Tage zuvor gestartet sind. Keine 50 Meilen entfernt!

Später steigen wir in den Ort hoch und kaufen ein. Danach brechen wir zu einer weiteren Wanderung auf zu noch weiter östlich gelegenen Buchten. Alles gute Ankermöglichkeiten, nur nicht ganz so romantisch. Unterwegs machen wir Rast bei der Heiligen Irene.

Doch leider zu!Auf dem Rückweg sehen wir noch ein Vorzeige-Gut mit ehemaliger Mühle – doch auch hier: kein Zutritt.

Ziemlich erschöpft – der Weg war anstrengend wegen der vielen Steigungen – wollen wir uns „zu Hause“ ausruhen, um dann wieder fit für den nächsten Dokumentarfilm zu sein. Aber unterwegs treffen wir das englische Ehepaar von der Lazy Pelican, die mit einem in einer alten Vauquiez inzwischen angekommenen Franzosen sprechen. Er hat ein Haus hier und lädt uns zu einer Besichtigung ein. Der Wahnsinn!!! Er hat eine alte hochherrschftliche Ville renovieren lassen – aufs Feinste. Innen jede Menge alte Möbel, die er hierher hat transportieren lassen. Er selbst hat den Marmor und die Steine für den Fußboden aus der Türkei mit seinem Segelboot transportiert. Überall historische Kunstplakate aus Cherbourg. Er kommt aus dieser Gegend und soll ein berühmtes Restaurant besitzen. Zumindest muss er in Geld schwimmen, denn er will gar nicht in diesem Haus leben, und er weiß angeblich auch nicht, was er mit diesem Haus machen will. Welch Kauz!

Schließlich aber wird’s Zeit für den Film. Er dauert zwei Stunden und handelt von einem 106-jährigen österreichischen Juden, der vier KZs überlebt hat. Auch heute Abend wieder Depri hoch drei. Wir kochen danach leckere Perl-Nudeln mit Gemüse als Trost.

Donnerstag 6.10.

Der Tag beginnt nach dem Frühstück mit dem Versuch, Bananen zu kaufen. Der kleine Gemüseladen ist neu bestückt worden von der Ladung aus der am Vortag angekommenen Fähre. Doch leider schon wieder zu spät: alle alle! Dann geht’s zur Hafenpolizei, noch für weitere fünf Tage zu bezahlen. Das fällt dem Beamten intellektuell nicht leicht, er läßt uns für vier Tage zahlen, obwohl wir ihm alle Tage aufzählen… Wir verabreden uns danach mit den Engländern zum gemeinsamen Abendessen draußen im Restaurant bei der Hafenpolizei, dann gehen wir zum Bäcker und essen ein Käseteilchen, das der Bäcker mit Puderzucker bestäubt hat, da er dachte es sei mit Creme gefüllt! Dazu setzen wir uns auf den alten Waschplatz neben der Kirche. Heute wandern wir nur ein wenig in ein wenig romantisches Tal unterhalb der Mülldeponie (!).

Abends dann zum Film. Er ist mit einer der aller-ergreifendsten gewesen: eine Dokumentation über die Befreiung von Jesidenmädchen, die in Syrien vom IS als Sklavinnen entführt und gehalten wurden. Diesmal kommen neben den Franzosen auch die Briten. Und so geht’s wieder einmal stark ergriffen zum Abendessen. Es frischt der Wind ordentlich auf, aber wir finden einen geschützten Tisch im Restaurant. Maggie und John von der Lazy Pelican und wir bestellen bei einem Jungen, der leider nicht in der Lage ist, unsere Bestellungen zu verstehen und weiterzugeben. So dauert das Abendessen ewig bis jeder etwas zu essen bekommt, ebenso die Rechnung zu bezahlen (man bekommt das Gefühl, dass es hier schon einige nicht ganz so helle Köpfe gibt), aber dafür unterhalten wir uns gut. Die Nacht wird ordentlich stürmisch, doch liegt das Boot (und mit Oropax hört man eh nichts….;))

Freitag 7.10.

Heute sind wir wandermäßig faul. Wir kaufen ein (endlich Bananen!) und treffen zwei Verabredungen. Zuerst werden wir aufs Boot von Dr. Zook, einem hamburgischen Ehepaar eingeladen. Um 15.00 kommen die Franzosen auf einen petit café.

Wir plaudern sehr lange und überdurchschnittlich intensiv über alle Segelerlebnisse, besonders die Erfahrungen in der Türkei, dann so allgemein über unser Leben und Nicht-Leben mit den Enkeln. Heiner und Petra (Steuerberater) sind uns auf Anhieb sympathisch, doch schon ruft der nächste „Termin“ auf White Satin. Jean-Baptiste redet wieder unglaublich schnell – wir wissen nie so ganz worüber. Miriam redet auch gern, man merkt ihr aber die Angst im Nacken an, die ihre Krankheit mit sich bringt. Unsere Gespräche bleiben doch oberflächlich. Am Ende wird’s auch noch eisekalt, da der Wind ordentlich ins Cockpit fegt.

Am Abend kochen wir und schauen Beethovens Fidelio auf dem Schlepptop. Wir wollen nun endgültig Sonntag nach Emborios abfahren.

Samstag 8.10.

Heute noch die letzten Einkäufe gemacht – mit Maske, da es angeblich wieder 10 Coronafälle auf der Insel gibt…

Dann Verabschiedung der Briten, die in die Beton-„Marina“ von Chios wollen, und danach Dr Zook, die morgen über Mykonos und darauf Athen wollen, da Petra am 12.10. ihren Flug hat.

Aber nun brechen wir endlich zu unserer längeren Wanderung zum Gipfel der Insel auf zum großen Gipfelkreuz hoch über dem Meer. Es liegt auf dem Weg zum Nonnenkloster, das wir ja schon 2020 besucht haben. Diesmal gehen wir nicht die asphaltierte Straße, sondern den viel schnelleren und nicht so mühevollen Weg durch dir Berge!

Oben empfängt uns eine tolle Rundumsicht, und merkwürdigerweise ist es hier ganz windstill!!! So lassen wir uns zu einem kleinen Picknick nieder und ruhen die müden Füße aus. Dann geht’s ein wenig durch dir Berge einen Ziegenpfad zum Kloster herab.

Das Kloster ist wie ausgestorben – alle Nonnen haben wohl Siesta – und so halten wir uns nicht lange auf, sondern gehen direkt zum Ausgang auf der anderen Seite.

Es geht den gleichen Weg durch die Berge zurück. Von den hohen Bergen sehen wir ein Segelboot, das von Lesbos kommt. Es segelt flott durch die immer noch nicht beruhigte See, und ist weit vor uns im Hafen.

Am Boot zurück montieren wir unser Solarpaneel aufs Bimini, das wir wegen des Meltemi vorher abgebaut hatten. Dabei löst sich DER Splint, der die zwei Mittelstangen hält und fällt mit Haltebändsel ins Wasser! Wieder ein weiteres Pechmoment… Zum Glück ist nach einiger Suche Ersatz gefunden, und das Drama nur ein One-Act-Play – halb so schlimm. Wir verbringen danach einen ruhigen Abend mit Fava-Kochen, das wir dann mit leckeren Balsamico-Zwiebeln verspeisen. Wind und Welle sind nun so zahm geworden, dass in der Tat einmal Ruhe herrscht und wir gut schlafen.

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